Was ist Kognitive Dissonanz?

Kognitive Dissonanz bezeichnet einen unangenehmen Gefühlszustand, der entsteht, wenn eine Person gleichzeitig zwei oder mehr widersprüchliche Überzeugungen, Einstellungen oder Verhaltensweisen hat, und sie motiviert ist, diesen Zustand durch Änderung oder Vermeidung zu reduzieren. Doch Veränderung oder Vermeidung ist nur eine Strategie, um diesen Zustand zu überwinden. Ein andere, mit der sich vor allem Aktivist:innen häufig konfrontiert sehen, ist die Strategie der Rechtfertigung.

Leon Festinger prägte diesen Begriff, nachdem er das Verhalten einer Weltuntergangssekte beobachtete. Nachdem am Tag des Weltuntergangs nichts passierte, hätte man erwarten sollen, dass sich die Anhänger:innen von ihrem Glauben lossagen, das Gegenteil war jedoch der Fall. Sie verbuchten den Vorfall als göttlichen Test und sahen sich daher in ihrem Glauben bestärkt.

Beispiele die zu kognitiver Dissonanz führen

  • Gesünder leben wollen aber rauchen
  • Klima schützen wollen aber in den Urlaub fliegen
  • Luxusgüter kaufen aber sparen wollen
  • Tiere lieben aber Fleisch essen
  • Konsumkritisch sein aber im Marketing arbeiten

Das ist natürlich nur eine Liste und keine Wertung. Ein Satz den ich schreibe, weil mir bewusst ist, dass diese Beispiele bereits kognitive Dissonanz auslösen können.

Kognitive Dissonanz im Kontext der Ernährung

Bei der Ernährung tritt kognitive Dissonanz auf, wenn die Überzeugungen oder das Wissen einer Person über (gesunde) Ernährung im Widerspruch zu ihren tatsächlichen Essgewohnheiten stehen. Überzeugungen betreffen zunehmend nicht mehr nur das vermeintliche Wissen darüber, was gesund ist, sondern auch was vermeintlich klimafreundlich oder tierfreundlich ist.

Wie können wir kognitive Dissonanz bei uns selbst überwinden?

Das Überwinden kognitiver Dissonanz bei sich selbst erfordert ein gewisses Maß an Selbstreflexion und die Bereitschaft, Veränderungen in den eigenen Überzeugungen oder Verhaltensweisen vorzunehmen. Hier sind einige Strategien, die dabei helfen können:

Bewusstsein schaffen:

Erkenne, dass du dich im Zustand kognitiver Dissonanz befindest. Statt dem gewohnten Muster zu folgen und unser Verhalten zu rechtfertigen, sollten wir anerkennen, dass wir gerade etwas tun, das nicht unseren Überzeugungen entspricht.

Besser informieren:

Manchmal kann es helfen, wenn wir uns besser über das Thema, das die kognitive Dissonanz auslöst, informieren. In dem Fall gibt es zwei mögliche Szenarien:

  1. Wir empfinden etwas, das wir tun als schlecht, weil wir nicht genug darüber wissen. Weitere Recherchen zeigen, dass unser Empfinden ungerechtfertigt ist.
  2. Wir empfinden etwas als schlecht, dass tatsächlich schlecht ist und weitere Informationen bestätigen uns in unserem Empfinden so sehr, dass wir es schaffen, unser Verhalten tatsächlich zu ändern.

Bei dieser Überwindungsstrategie ist es wichtig, der Versuchung zu widerstehen, genau die Informationen zu suchen, die wir uns wünschen zu finden.

Überzeugungen und Werte überprüfen:

Als Tierrechtsaktivist wünsche ich mir natürlich, dass Menschen meine Werte teilen und nach ehrlicher Bewertung dieser zu dem Ergebnis gelangen, dass sie fortan keine tierischen Produkte mehr essen möchten. Doch zur Überwindung kognitiver Dissonanz kann auch gehören, dass wir unsere eigenen Werte und Überzeugungen überprüfen und uns eingestehen, dass einige dieser Werte eher durch das soziale Umfeld geprägt wurden, uns jedoch gar nicht wichtig sind. Nach einem Gespräch mit einer Person aus meinem persönlichen Umfeld sagte diese zu mir: „Ich weiß, dass Tiere für Fleisch leiden, aber es fällt mir leicht nicht daran zu denken, daher ist es mir egal.“

Das ist natürlich nicht der gewünschte Ausgang eines Gesprächs, aber für die Person selbst, kann sich das Gefühl kognitiver Dissonanz lösen, wenn sie sich selbst eingesteht, dass ihr etwas schlicht egal ist. Natürlich unter der Voraussetzung, dass es das wirklich ist. Du magst dich jetzt vielleicht empören, wie Menschen das egal sein kann, es ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass das möglich ist. Mir persönlich ist diese Antwort sogar lieber, als jahrelang ungefragt zu hören, dass man »nur noch ganz wenig Fleisch esse«, während eine tatsächliche Veränderung ausbleibt.

Verhalten anpassen:

Haben wir nach Überprüfung unserer Werte und der Recherche nach besseren Informationen festgestellt, dass wir uns entgegen unserer Überzeugung schlecht verhalten, wäre die offensichtlichste Lösung unser Verhalten in Einklang mit unseren Überzeugungen zu bringen. Bei manchen Dingen, besonders Süchten wie Rauchen, ist das nicht so einfach. Hier kann es helfen, in kleinen Schritten zu denken.

Beim Konsum tierischer Produkte können Ersatzprodukte helfen, auf Gewohntes zu verzichten. Ebenso das Ausprobieren neuer Rezepte oder neuer Restaurants. Inzwischen gibt es auch zahlreiche vegane Ernährungsberater:innen, die ebenfalls helfen können.

Akzeptanz:

In einigen Fällen kann es notwendig sein, die Existenz von Dissonanzen zu akzeptieren, besonders wenn eine sofortige Lösung nicht möglich ist. Unser Verhalten anzupassen, kann uns in einigen Lebensphasen schlicht überfordern. Möglicherweise sehen die Tipps auf Instagram, wie man plastikfrei lebt, super einfach aus. Aber wenn uns der Weg zum Unverpackt-Laden finanziell, zeitlich oder auf eine andere Weise überfordert, ist das eben so. Das ist kein Grund das Ziel zu weniger Plastikverbrauch aufzugeben, aber es ist eben auch kein Grund für ein dauerhaft schlechtes Gewissen.

Professionelle Hilfe suchen:

Kognitive Dissonanz wird, wie ich es eben getan habe, oft als »schlechtes Gewissen« abgetan und damit nicht als ernsthaftes Problem angesehen. Die Lösung scheint einfach: »Wenn es dir damit schlecht geht, dann mach es halt nicht.« Doch etwas »nicht zu tun« kann aus vielen Gründen nicht möglich sein und dann kann kognitive Dissonanz zu erheblichem Stress oder Angst führen. In diesem Fall kann es hilfreich sein, mit Therapeuten oder Berater:innen zu reden, um besser mit diesen Gefühlen umzugehen.

Kognitive Dissonanz braucht Ehrlichkeit

Das Gefühl kognitiver Dissonanz ist für niemanden angenehm und in einer Gesellschaft, in der Erwerb und Verbrauch gefördert werden, während das Bewusstsein für Tierschutz und für die globalen Auswirkungen unseres Konsums steigt, viel normaler, als wir uns eingestehen wollen. Das betrifft omnivor lebende Menschen ebenso wie Veganer:innen. Auf keiner Seite bringt es uns weiter, wenn wir das Verhalten, das zu kognitiver Dissonanz führt, als Heuchelei verurteilen oder nicht anerkennen, dass die Überwindung dieses Verhaltens manchmal Zeit benötigt. Im Gegenteil – wenn wir anfangen, es als gemeinsames Problem zu betrachten, können wir es vielleicht auch gemeinsam lösen.

Das Gefühl kognitiver Dissonanz ist zunehmend ein Symptom einer Gesellschaft, die sich im Wandel befindet, während sie sich gleichzeitig doch nicht zu ändern scheint. Werbung redet uns ein, wir könnten Grün konsumieren und alles ist gut. Dabei sind nicht Endverbraucher:innen die Ursache der größten Probleme, sondern Konzerne. Lasst uns darüber sprechen, was wir konsumieren und warum. Was davon kann unsere Entscheidung sein und was davon sollten wir gemeinsam politisch einfordern?